Herr Rossignol, stellen Sie sich doch kurz vor. Wie sind Sie zum SV Sandhausen gekommen?
Ich bin Gerd Rossignol, 63 Jahre alt und komme aus Höchst im Odenwald. Ich bin absolut fußballbegeistert und besuche fast jeden Tag ein Spiel - egal ob Bundesliga, Regionalliga oder Kreisklasse. Die WM in Brasilien hatte bei mir einen richtigen Fußball-Hype ausgelöst. Damals konnte ich noch besser sehen. Anschließend bin ich zusammen mit einem Kollegen auf Tour gegangen. Wir haben verschiedene Vereine in der Bundesliga und 2. Bundesliga besucht, und in dieser Liste stand auch der SV Sandhausen. Seitdem bin ich öfter im Stadion - aus dem Odenwald ist Sandhausen sowohl mit dem Zug als auch mit dem Auto gut erreichbar. Auf dieser Fußballreise habe ich auch unseren Fanbetreuer Timm Merten kennengelernt. Die Abwicklung mit den Tickets war immer unkompliziert.
Sie leben seit Geburt mit einer Sehbehinderung. Wie hat sich Ihr Stadionbesuch im Laufe der Jahre verändert?
Ich habe einen genetischen Defekt, den man nicht stoppen kann. Das ging sehr schleichend. Im Kindesalter habe ich selbst Fußball gespielt und hatte da schon Probleme. Später war ich Schiedsrichter und Vereinsfunktionär. Als ich das nicht mehr machen konnte, bin ich öfter ins Stadion gegangen. Seit einem Jahr bin ich völlig erblindet. Durch die Blindenreportage weiß ich aber dennoch genau, was auf dem Fußballplatz passiert.
Was macht für Sie die besondere Atmosphäre eines Fußballspiels aus?
Auf dem Fußballplatz kriege ich Gänsehaut! Es ist erstmal egal, ob das ein Spiel in der Bundesliga oder C-Klasse ist. Im Stadion entsteht durch die besondere Atmosphäre und die Freunde und Bekannte ringsum eine einzigartige Erfahrung. Besonders wertvoll ist mir der Austausch mit anderen sehbehinderten Fans, die ähnliche Erfahrungen teilen. Die Reaktionen der Zuschauer helfen mir dabei, das Spielgeschehen zu verstehen und mitzuerleben.
Gibt es herausfordernde Situationen im Stadion für Sie?
Der Weg auf die Tribünen gestaltet sich für mich inzwischen herausfordernd - mein Blindenstock allein reicht oft nicht aus, sodass ich auf Begleitung angewiesen bin. Bereits die Anreise zum Stadion kann kompliziert werden, mit ungewohnten Wegen und vielen Menschen um mich herum. Umso größer ist dann die Erleichterung, wenn ich endlich meinen Sitzplatz erreicht habe.
Der SVS bietet bereits seit Saisonbeginn 18/19 Audiodeskription an. Wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?
Wenn ich Karten buche, erkundige ich mich immer nach der Verfügbarkeit einer Audiodeskription - das ist für mich ein entscheidender Faktor, welches Stadion ich besuche. In Sandhausen gehörte ich zu den ersten, die diese Möglichkeit genutzt haben. Die Audiodeskription wurde 2018 beim Spiel gegen den HSV eingeführt, damals spielte Sandhausen noch zweitklassig. Auch vorher war ich bereits regelmäßig im Stadion, musste aber ohne die hilfreiche Reportage auskommen. Pro Saison besuche ich etwa 8 bis 10 Heimspiele.
Leider wird standortübergreifend viel zu wenig für dieses wertvolle Angebot geworben. Viele sehbehinderte Fußballfans wissen gar nicht, dass es diese Möglichkeit gibt. Dabei sollte es völlig unerheblich sein, wer der Gegner ist - ob Topverein oder Abstiegskandidat. Die Audiodeskription macht jeden Spieltag zu einem vollwertigen Erlebnis.
Wie hat die Audiodeskription Ihr Stadionerlebnis verändert?
Dank der Audiodeskription bin ich mittendrin im Geschehen! Ich kann exakt verfolgen, wo sich der Ball befindet und wer gerade am Ball ist. Die Reporter beschreiben mir live jede Bewegung auf dem Platz - von Pässen über Zweikämpfe bis hin zu kritischen Situationen vor dem Tor. Das macht den Unterschied zwischen einem bloßen Hörerlebnis und dem Gefühl aus, wirklich dabei zu sein.
Allerdings gibt es auch Momente, in denen die Stadionatmosphäre zur Herausforderung wird. Wenn die Fans richtig abgehen und die Akustik extrem laut wird, verstehe ich buchstäblich mein eigenes Wort nicht mehr. In solchen Situationen muss ich die Kopfhörer kurz abnehmen, um Kopfschmerzen zu vermeiden.
In der Anfangszeit gab es auch technische Hürden zu überwinden. Manchmal stimmte die Übertragungsfrequenz nicht und wir mussten erst verschiedene Einstellungen ausprobieren. Das war frustrierend, besonders wenn man schon im Stadion saß und das Spiel bereits lief. Aber diese Kinderkrankheiten gehören mittlerweile der Vergangenheit an - heute funktioniert die Technik zuverlässig.
Was schätzen Sie an der aktuellen Audiodeskription, die auch über den Hardtwald-Hörfunk für alle frei zugänglich ist?
Was mir besonders gefällt, ist die sachliche und objektive Berichterstattung der Audiodeskription. Die Reporter bleiben neutral und beschreiben einfach das, was auf dem Platz passiert, ohne ihre eigenen Emotionen einfließen zu lassen. Das ist genau das, was ich brauche - reine Informationen über das Spielgeschehen.
Durch die verschiedenen Reporter, die im Wechsel eingesetzt werden, kommt auch eine angenehme Abwechslung in die Übertragung. Jeder hat seinen eigenen Stil und seine Art zu beschreiben, was die Sache lebendig hält. Über die Jahre hinweg merke ich, wie sich die Qualität kontinuierlich verbessert hat. Die Reporter sind heute bestens vorbereitet, kennen beide Mannschaften genau und können auch Hintergrundinformationen liefern, die das Spielverständnis vertiefen.
Auch technisch hat sich einiges getan. Die Geräte sind moderner und zuverlässiger geworden. Auch die Ausgabe der Technik läuft mittlerweile reibungslos - man bekommt das Equipment direkt am Platz und kann sofort loslegen, ohne lange Wege oder komplizierte Abholung.
Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial?
Die technische Weiterentwicklung schreitet stetig voran und bringt spürbare Verbesserungen mit sich. An einigen Standorten gibt es bereits moderne Kopfhörer, in die der Empfänger direkt integriert ist. Das ist ein großer Fortschritt, weil man nicht mehr zwei separate Geräte jonglieren muss - Kopfhörer und Empfangsgerät werden zu einer kompakten Einheit.
In Sandhausen wird noch mit dem herkömmlichen System aus separatem Kopfhörer und Empfangsgerät gearbeitet. Das funktioniert einwandfrei, ist aber weniger komfortabel als die neueren All-in-One-Lösungen. Hier spielt natürlich auch die Finanzierung eine Rolle - nicht jeder Verein kann sofort in die neueste Technik investieren.
Was ich beobachte, ist dass sich die Qualität des Erlebnisses oft automatisch verbessert, sobald die technischen Komponenten modernisiert werden. Bessere Übertragungsqualität, stabilere Verbindungen und benutzerfreundlichere Geräte machen den Stadionbesuch entspannter.
Was möchten Sie anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?
Die Akzeptanz im Stadion ist heute definitiv da - sowohl von den anderen Fans als auch vom Verein selbst. Die Hilfsbereitschaft, die mir entgegengebracht wird, ist wirklich bemerkenswert. Aber das war nicht immer so. Früher fühlte man sich als sehbehinderter Fan oft wie ein Außenseiter.
Heute ist das völlig anders. Ich fühle mich keineswegs als Außenseiter - ganz im Gegenteil. Mittlerweile kennt man mich im Stadion, ich werde regelmäßig erkannt und angesprochen. Das liegt auch daran, dass ich sehr auffällig und kunterbunt gekleidet bin - das macht mich unverwechselbar. Allerdings achte ich dabei immer darauf, neutral zu bleiben, was die Vereinsfarben der beiden Protagonisten auf dem Platz angeht.
Das ist tatsächlich eine bewusste Strategie: Wenn man als sehbehinderter Fan nicht in den Farben der Heimmannschaft auftritt, eckt man weniger bei den gegnerischen Fans an und vermeidet unnötige Konflikte.
Wie können nicht Betroffene am besten helfen?
Ich will gar nicht so viel Hilfe haben. Das Wenigste, was wir brauchen, ist Mitleid - das ist das Schlimmste. Das ist ein schmaler Grat: helfen zu wollen, weil es einem leid tut. Wenn ich etwas allein machen kann, dann will ich das auch tun. Aber Sicherheit geht natürlich vor. Wenn ich orientierungslos bin, dann nehme ich auch gerne Hilfe an.
Der SV Sandhausen bietet bei Heimspielen den Service der Audiodeskription für sehbehinderte und blinde Fans an. Das Angebot ist über den Hardtwald-Hörfunk auch für alle anderen Zuhörer zugänglich. Interessierte finden alle wichtigen Informationen auf der Homepage: Hartdwald-Hörfunk